von Tanith » Mittwoch 20. November 2013, 14:48
Das Paar schien im ersten Moment nicht minder überrascht Tanith über den Weg zu laufen wie umgekehrt. Der Mann hatte sich zwischen sie und seine Gefährtin geschoben, wohl um diese im Zweifelsfalle vor Tanith beschützen zu können. Unter dem schmutzigen Kopfputz der Frau blitzten ein paar leuchtend-rote Haare hervor. Es war eine faszinierende Farbe, ein strahlendes Rubinrot und fast schon schien es Tanith dass die Farbe zu rot war. Sie konnte unmöglich echt sein! Diese Farbe war nicht Rot, sie war vielmehr die Idee von Rot die aussah was sich jemand vorstellen würde der die Farbe nicht kannte und wenn man sie denn in Worten erklären würde können die sich nicht auf "rot" beschränkten. Etwas zerrte scheuchte einen Gedanken aus der mentalen Peripherie von Taniths Bewusstsein.
'Wer kann sich eigentlich frei und sorglos in den Ruinen Patrias bewegen die voller Kobolde und Namenloser sind? Welcher Mensch hat so unmöglich rote Haare? Wer sieht aus wie ein Mensch und doch nicht?'
Aber Tanith kam gar nicht dazu, diesen Gedanken zu ihrem erschreckenden Ende zu verfolgen da spürte sie schon die Hand des Mannes grob an der ihren und eine Klinge blitzte hervor. Ein scharfer Atem entwich ihr, dicht gefolgt von der Erkenntnis dass es sich nicht um einen verfluchten Schlangendolch handelte sondern um eine sichelförmige Klinge die genau so schnell wieder verschwand wie der Mann sie hervorgezaubert hatte.
"Ich musste sicher gehen," sagte der Mann wie um sein Handeln zu erklären und hob beide Hände in einer Geste die Harmlosigkeit beteuerte. Tanith glaubte der Geste nicht einen Milimeter weit - jemand der so schnell reagieren konnte, konnte nicht harmlos sein. Der Mann schien einen Moment lang zu horchen und Tanith wibbelte auf den Fußballen auf und ab, im Gedanken bereit zu laufen, zu kämpfen und sogar zu sterben, egal ob nun mit den herannahenden Massen oder ...-
"Für den Schnitt, Hübsche." Ein sauberes Tuch wurde ihr angeboten und Tanith nahm es zweierlei Gründen: zum einen, weil nicht gewiss war wann und wie sie die Wunde reinigen würde können, denn auch kleine Schnitte konnten zu gefährlichen Infektionen führen und zum anderen, weil sie nun mehr als sicher war dass der Mann kein Ohadu war. Ein Ohadu musste das Blut eines Menschen nicht vergießen um zu wissen, dass seine Beute vor ihm. Ob Menschen oder Entweihte - die Geschöpfe Zûls wussten leider stets nur zu genau mit wem sie es zu tun hatten.
Die Frau mit den unmöglich roten Haaren rümpfte die Nase (fast so als ob sie wüsste mit wem sie es zu tun hatte - war sie etwa...?) während sie mit einem zweiten Tuch spielte welches der Mann aus einer seiner vielen Taschen hervorgezaubert hatte. Aber der Mann sprach schon wieder und seine Worte waren ruhig und schroff, was Tanith begrüßte, aber noch viel mehr würde sie es begrüßen wenn sie mit Sicherheit sagen könnte, ob die andere Frau auch tatsächlich eine andere Frau oder wenigstens ein anderer Mensch (denn es gab ja auch Männer die wie Frauen aussahen und Frauen die wie Männer aussahen, wenn man mal an so manche Amazone dachte) war... "Wenn du ruhig bleibst, kann ich dich an einen sicheren Ort bringen. Allerdings wird dir Ruby dafür die Augen verbinden. Oder aber du rennst weiter und lässt dich von den Namenlosen fangen und fressen. Deine Entscheidung. Nur brauche ich sie jetzt."
Wie sollte sie das sagen? "Hör mal, ich komme ja gerne mit an deinen sicheren Ort, aber hast du vielleicht noch eben Zeit mir zu beweisen dass deine Gefährtin keine Entweihte ist?"- Dafür hatten sie keine Zeit. "Hast du deine Gefährtin eigentlich schon mal bluten sehen?"- Und auf diese Frage würde wohl kaum jemand antworten wenn eine ziemlich hohe Wahrscheinlichkeit bestand, dass in wenigen Augenblicken sehr viel Blut vergossen werden würde und zwar leider auch noch das eigene. "Kann ich mir deine Klinge borgen und das selber testen?"- Wer in diesen Zeiten seine Waffe aus den Händen gab war dumm, dämlich und so gut wie tot und der Mann war ziemlich lebendig und machte keinen Eindruck von großer Dummheit, eher das Gegenteil. Er hatte bis jetzt überlebt, das war ein gutes Zeichen.
Und dann war auf einmal alles Dunkel und das Tuch wurde grob und ziemlich rabiat um Taniths Kopf gebunden. Sie spürte den Druck, den das grobe Material auf ihre Augen ausübte, aber was sie noch viel mehr spürte war die Hitze ihres Zornes als die vermeintliche Frau ihr zuwarf: "Wir haben keine Zeit für solche Höflichkeiten. Entweder du setzt dich in Bewegung oder ich dreh dir den Hals um." Ein Schubs folgte dieser kleinen verbalen Unhöflichkeit und er kam aus einer gänzlich anderen Richtung wie die, aus der das Tuch gekommen war.
Verdammt! Sie hasste es, (nicht sehen zu können und musste sich bemühen, die aufsteigende Panik im Keim zu ersticken; Panik war ihr Feind) nicht zu wissen wo das kleine Miststück war! Wenn sie wirklich eine Entweihte war und begann einen Zauber zu wirken, nun Tanith würde das auch ohne die Augenbinde vermutlich nicht sofort sehen und erkennen, aber sie würde wenigstens wissen wohin sie den Blitz lenken musste. Blind einen Feuerring zu beschwören (der gewissermaßen per Ausschlussverfahren der einzig sinnvolle Zauber in dieser Situation war bis dass sie die Binde von ihren Augen genommen hatte) war dumm und leichtsinnig, vor allem weil sie den Mann dann auch verletzen würde und sie war sich nach wie vor sicher, dass er menschlich war, was wiederum bedeutete, dass er ein Geschöpf der Göttin war und damit beschützenswert. Vermutlich zogen die Entweihten auch weiterhin getarnt durch die Lande in dem Versuch, die letzten Überlebenden aus ihren Verstecken zu locken und zu Zûls Unterhaltung zu quälen und zu töten. Tanith war sich sicher, dass der dunkle Herrscher an solchen Grausamkeiten Vergnügen hatte. Ein grober Griff umfasste Taniths Schultern und die Zauberin konnte nicht anders als sich zu verkrampfen. Was sollte die ganze verdammte Geheimniskrämerei eigentlich?!
Tanith entfuhr ein leises Knurren als die Fremde sie irgendwelche Stufen hinabschob und einen Arm um ihre Hüfte legte um sie eben diese grob hinabzuführen. Aber die Frau stieß sie nicht die Stufen hinab, was eine einfache und elegante Art gewesen wäre, sich ihrer zu entledigen. Nein, stattdessen stiegen sie... ziemlich lange sogar... und immer tiefer, so schien es ihr... dankbarerweise schweigsam... die Stufen hinab. Und wie zu erwarten wurde Tanith das Tuch nicht sofort von den Augen genommen. Warum auch? Die anderen konnten ja sehen! Apropos, der Mann und die Frau wechselten ein paar leise Worte, die Tanith nur bedingt verstehen konnte. Ein Gästezimmer? Wieso nur klang das so nach Verhör und Folterkammer in Taniths Ohren?
Und während sie sich noch geistig schalt dafür, wie ein dummes Schaf blind zur Schlachtbank gelaufen zu sein, formten Mund und Zunge schon mit spitzen Worten den Satz: "Ist das die berühmt-berüchtigte patrianische Gastfreundschaft, von der meine Eltern mir schon so viel zu berichten wussten? Was wird's denn werden? Die Keller der Hexen oder doch die fürsorgliche Pflege der Joor bis zum letzten Atemzug?"
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Tanith am Donnerstag 12. Dezember 2013, 13:35, insgesamt 1-mal geändert.
Give a man a match, and he'll be warm for a minute, but set him on fire, and he'll be warm for the rest of his life.
~ Unknown.