von Storm » Sonntag 17. November 2013, 14:17
Storm fühlte sich durch die intensiven Worte hineingezogen in diesen Kampf, in dem sich scheinbar ein Großteil der Menschen gegen die Ohadus gestellt hatte. Sie vermeinte zu spüren, wie es sich anfühlte, alles zu geben was man hatte und trotzdem zu unterliegen. Einem Feind zu unterliegen, der weder Gnade noch Mitgefühl kannte. Die Szene mit der Göttin konnte sie sich hingegen nur sehr mühsam vorstellen. Vielleicht, weil ihre Bindung zu Aurora nie sonderlich eng gewesen war. Zwar hatten die Priesterinnen in Patria immer versucht, ihr einzubleuen, dass die Elementarmagie ja ein Geschenk der Göttin war und sie ohne sie nichts wäre. Aber was das betraf war Storm wie viele ihrer Ordensschwestern gewesen … an die Göttin verschwendete sie wenige Gedanken, wenn überhaupt verehrte sie die Elemente an sich. Es hatte eine Phase gegeben, in der sie öfter in den Tempel gegangen war und versucht hatte, eine Nähe herzustellen, aber es war ihr nicht gelungen. Aurora war ihr einfach immer zu … fremd gewesen, so seltsam sich das auch anhören mochte. Sie hatte sich dann damit begnügt zu wissen, dass es sie gab und sie das Gute und Kathâr das Böse war. Ein Weltbild, das durch ihren Aufenthalt in White Hall und ihre Reise jenseits des großen Gebirges ins Wanken geraten war. Überhaupt glaubte sie nicht mehr an die Allmacht der Götter, auch wenn man sie den Menschen wie einen drohenden Zeigefinger entgegenhielt. Zûl war natürlich kein normaler Mensch, aber wie hatte so jemand wie er es schaffen können, eine Göttin zu stürzen? Sich ihre Macht einzuverleiben? Aber sie nahm an, dass sie auf diese Fragen keine Antwort erhalten würde und im Grunde genommen war es auch für den Moment unwichtig. Wichtig war, was sie jetzt daraus machten.
Die Erinnerung an diese Geschehnisse schien Feuerlocke zu überwältigen, was Storm nachvollziehen konnte. Zu kämpfen und trotzdem alles zu verlieren, woran man hing, konnte einen Menschen brechen. „Ein Mensch kann nur eine bestimmte Menge ertragen, alles was darüber hinausgeht, sorgt dafür, dass es Ratsch macht.“ Mit leichtem Schaudern erinnerte sich Storm an diese Worte einer Priesterin aus der Krankenstation, als Storm aus Versehen in das Zimmer einer Frau gestolpert war, die mit wirren Haaren und ebenso wirrem Blick in einer Ecke gesessen und versucht hatte, Nüsse mit den Händen zu knacken. Was ihr kaum gelingen konnte, so ausgemergelt und dürr wie sie war. Sie hatte durch Storm und die Priesterin hindurchgeblickt als seien sie gar nicht da. Oder als sei sie selbst nicht da, als habe ihre Seele ihren Körper verlassen. Dieser Anblick hatte Storm noch ein paar Nächte lang verfolgt. Sie wusste bis heute nicht, was diese Frau hatte ertragen müssen, oder warum es ausgerechnet bei ihr Ratsch gemacht hatte. Sie wusste auch nicht, ob es für sie jemals einen Weg zurück gegeben hatte oder ob sie bereits über eine Schwelle hinausgegangen war, die einen Punkt ohne Widerkehr darstellte. Fest stand, dass Feuerlocke diese Schwelle noch nicht überschritten hatte, noch gab es die klaren Momente, noch hatte sie Gründe, die sie in der Realität hielten. Allerdings war Storm auch so ehrlich einzugestehen, dass sie mit der Situation überfordert war. Sie wusste nicht, wie man mit schwer traumatisierten Menschen umging, also sagte sie einfach das, was sie tatsächlich dachte. „Das stimmt. Es können dir noch so viele Leute die Hand reichen, wenn du keine Hilfe von anderen möchtest – egal, ob Experte oder nicht –, dann wird es auch nicht möglich sein, dir zu helfen. Auch wenn ich nicht das erlebt habe, was du erlebt hast, habe auch ich schon Menschen verloren, die mir wichtig waren. Ich weiß auch, wie es ist, wenn die eigene Welt nur noch aus Leere besteht, weil die Menschen, die gegangen sind, so riesige Löcher hinterlassen haben. Du willst Rache? Schön! Warum richtest du sie nicht gegen den, der verantwortlich ist? Nicht gegen die Namenlosen oder Ohadus, sondern gegen Zûl selbst. Natürlich ist das nicht einfach, aber wenn die Göttin fallen kann, dann kann Zûl das auch. Das wirst du allerdings kaum erreichen, wenn du allein und wie von Sinnen durch die Wälder streifst und alles tötest, was dir zufällig vor die Schwerter läuft.“ Ihre Worte waren ruhig und eindringlich vorgetragen, weil sie wollte, dass die Rothaarige verstand, was sie sagte. „Ich kann dich nicht zwingen, dir meine Worte zu Herzen zu nehmen, aber ich kann dich zumindest bitten, darüber nachzudenken. Stell dir einfach mal vor, die Rollen wären vertauscht – du wärst tot und jemand, den du liebst, lebte noch. Würdest du wollen, dass diese Person so ein Dasein fristet, wie du es jetzt tust? Das kann ich mir einfach nicht vorstellen.“
Das, was Feuerlocke über die Namenlosen und Ohadus zu berichten hatte, war sehr interessant, besonders der Teil über die Ohadu-Magie. Ziemlich irritiert war Storm allerdings, als die Kriegerin begann, sich aus ihrer Kleidung zu schälen. Was sollte das denn jetzt? Auch wenn Storm alles andere als prüde war, so fand sie es doch mehr als ziemlich seltsam, wenn sich jemand einfach so vor ihr auszog. Andererseits – Feuerlocke benahm sich die ganze Zeit schon so neben der Reihe, dass sie das eigentlich nicht mehr überraschen dürfte. Dieses Mal hatte sie aber tatsächlich einen Grund dafür und der löste in Storm eine Mischung aus Abscheu und Faszination aus. Sie neigte sich ein wenig nach vorn, um die Narbe, die die Rothaarige ihr zeigte, genauer in Augenschein zu nehmen. Obwohl die Kriegerin allgemein sehr hellhäutig war, stach diese Blässe doch hervor. „Tot“ - das war das Wort, das ihr sofort in den Sinn kam, als sie die Haut um die Narbe herum betrachtete. Auch die dunklen Verästelungen trugen zu dem unnatürlichen, unheimlichen Bild bei. Ungebeten erschien Rogon vor ihrem geistigen Auge – wie ihm jemand einen Dolch ins Herz trieb, seine Haut immer blasser wurde und dunkle Adern sich auf seiner Brust ausbreiteten. Er hatte ihr damals erzählt, dass er sich Zûl freiwillig angeschlossen hatte, weil dieser ihm mächtige Magie versprochen hatte. Mächtige Magie, so wie die der Angeln, die sein Dorf überfallen hatten. Storm bezweifelte allerdings, dass Rogon diese Magie je hatte nutzen können, um Rache an den Angeln zu nehmen. Zûl war ein Betrüger und vermutlich ein begnadeter Manipulator, der die Wünsche jener nutzte, die er in seine Dienste zwingen wollte. Rogon war das irgendwann bewusst geworden, denn er hatte gesagt, dass er damals nicht genau darüber nachgedacht hätte – und als er es getan hatte, war es zu spät. Aber, dass Zûl auch Leute zu Ohadus gemacht hatte, die das nicht gewollt hatten, war Storm nicht bewusst gewesen. „Das … ist ungeheuer grausam.“ murmelte sie und der Schock in ihrer Stimme war deutlich herauszuhören. Die Vorstellung, dass ihr auf diese Weise das geraubt wurde, das ihr selbst am Wichtigsten war – nämlich ihr freier Wille –, schnürte ihr kurz die Luft ab und auf einmal kam ihr die das Versteck viel zu eng vor. Sie war kurz davor aufzuspringen, die Matte herunterzureißen und nach draußen zu stürmen, aber sie ließ es. Stattdessen schloss sie die Augen und versuchte einen Moment auszublenden, wo sie war. Alles um sich herum zu vergessen und sich nur auf ihre Atmung zu konzentrieren. Sie hätte im Nachhinein nicht sagen können, wie lange sie reglos und mit geschlossenen Augen dort gesessen hatte – sie war sich auch nicht sicher, ob eine Träne aus ihrem Augenwinkel getropft war oder nicht. Irgendwann schlug sie die Augen wieder auf und spürte, wie sie wieder ruhig war. Gelassen. „Umso wichtiger ist es, dass Zûl endlich verschwindet.“
Sie hörte sich an, was Feuerlocke über die Dämonen zu berichten hatte und gestattete sich auch ein kurzes Lächeln über die Überlegungen, die die Kriegerin anstellte. Wenn sie bei Zûl zum Tee eingeladen wäre, würde sie vermutlich versuchen, ihm mit den Scherben ihrer Tasse das Gesicht zu verunstalten. Was ebenso effektiv wäre, wie wenn ein Kind mit dem Fuß auf den Boden stampft, um seinen Willen durchzusetzen – also gar nicht. Die Frage nach ihrem Namen schien die Kriegerin hingegen wenig zu freuen. Zumindest, wenn sie ihren Blick richtig deutete. Storm wollte schon abwinken, dass sie das Thema einfach vergessen sollte, als Feuerlocke doch antwortete. „Kelenius? Das Annuyiaée-Geschlecht?“ Ein Verdacht stieg in ihr auf, und einige Worte, die eben gefallen waren, wurden plötzlich klarer – „... zerbarst meine einzige Waffe, die gegen die Ohadus wirkte. Ich. Meiner Bestimmung beraubt.“ War diese Kriegerin – Taira – keine simple Kriegerin gewesen, sondern eine Annuyiaée? Storm hatte angenommen, dass es keine Annuyiaée mehr gab. In Patria hatte es einige gegeben, die ihre Linie auf einen der legendären Gefährten des Auror zurückverfolgen konnten. Aber so weit sie wusste, hatte niemand die Fähigkeiten eines Annuyiaée besessen. Es war nur der Name gewesen – und die Erinnerung an eine Zeit, die längst vorbei war. Aber die Ohadus waren auch keine Legende, also warum sollten die Annuyiaée dann eine sein. „Hast du das gemeint, als du sagtest, du seist deiner Bestimmung beraubt? Warst du eine Annuyiaée?“
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Storm am Freitag 13. Dezember 2013, 17:59, insgesamt 1-mal geändert.
Wege entstehen dadurch, dass man sie geht.
- Franz Kafka -